10th Splash Tag 3

Sonntag, dritter und damit letzter Tag des Splash!-Festival 2007 und die Sonne lacht uns entgegen. Das Wetter wirkt wie ausgewechselt, der Wind hat sich weitgehend gelegt und die Sonne brennt. Viele sitze einfach vor ihrem Zelt und lassen sich die warmen Strahlen auf die Haut brennen. Bei dem Einen oder Anderen rächt sich dieses Verhalten noch zum Mittag des selben Tages mit einem fiesen Sonnenbrand. Besonders gefährdet waren offensichtlich die Dekolltes der Damen, welche durch einen ordentlichen Rotkontrast auffielen - oder ist das ein Beispiel für selektive Wahrnehmung?

Die vorherrschende Richtung bis zum späten Nachmittag war "raus". An jeder Ecke baute jemand sein Zelt ab und transportierte, schwer bepackt und mit großen Anstrengungen sein Hab und Gut zum Parkplatz. Dabei kam allerlei Gerät zum Einsatz, vornehmlich Einkaufswagen der verschiedenen Supermarktketten. Die können sich ihre vermissten Wagen dann übrigens im Straßengraben neben dem Festgelände abholen.
Auch bei uns wurde abgebaut, die Rester per Grill verwertet oder in Müllsäcke verpackt. Damit gehören wir zu den Wenigen, die nicht einfach nur ihren Müll da lassen, wo er gerade entstanden ist. Dementsprechend sieht unser Zeltplatz im Vergleich zum Rest auch wie geleckt aus.
Den große grüne Pavillion, der allen Witterungen getrotzt hat bauen wir ab, er darf mit zurück nach Heilbronn. Dem treulosen orangen Zelt ergeht es schlechter - es bleibt im Osten und muss wohl auf die Mülldeponie Spröda.

Dass der eigene Einkaufswagen abhanden gekommen ist nervt gewaltig, da der Marsch von etwa zwei Kilometern schwer bepackt gar keinen Spaß macht. Um so mehr freuen wir uns, als der Packesel zurückgebracht wurde - im Schlaf hatte einer von uns den Wagen verliehen und der leihende HipHop-Fan erwies sich als treue Seele.
Mit Wagen ging es denn auch problemlos, die vier Zelte und die vielen Taschen in zwei Fuhren zu den Autos zu bringen.
Unterwegs sehen wir dann ein paar junge Kerle mit iPod und muschelförmigen Kopfhörern rumstehen und Passanten anquatschen - die lassen die Leute in ihr Album oder Mixtape hören und verkaufen es dann auch gleich auf dem Weg. Nicht Wenige nehmen dieses Angebot an und später können wir auch noch bei einem Eis zuhören, wie kreativ die Kerle sind beim Anquatschen.

Weitere Kleinkunst an der Landschaftskunst dürfen wir heute ein paar Hügel weiter bewundern - jemand hat mit Zeltstangen ein Wort auf den Kies gelegt.

In der Zwischenzeit traten K.I.Z. auf, die ich mir eigentlich ganz gern mal angeschaut hätte, sind sie doch zentrale Figuren der Berliner "Porno Rap"-Szene. Andererseits ist das wohl nur ein weiterer Fall von "Sex sells". Wie ich sehe, war auch "King Orgasmus One" von der "Orgi"-Crew das ganze Wochenende am eigenen stand und unterschrieb was man kaufte oder hinhielt.

Nachdem wir all unsere Sachen in den Autos verstaut haben und diese auch gleich noch vom Festivalparkplatz entfernt haben (um Nachts besser weg zu kommen), gehen wir den langen, heißen Weg zurück zum Innengelände. Direkt vor diesem schallt es uns wieder aus der Welt-Hungerhilfe-Shoutbox entgegen - jetzt darf der "King of Pop" Michael Jackson ran und es hat sich eine kleine Traube gesammelt. Besonders cool ist dann ein kleiner, spontaner Remix von "Billy Jean".

Das Gelände wirkt insgesammt voller als in den letzten Tagen, außerdem fällt mir auch hier der Müll ins Auge, welcher überall herumliegt. Wo wir gestern und vorgestern noch ganz entspannt gesessen haben, müssen wir heute erst Mal Platz schaffen.
Weiterhin fallen die vielen Schilder bei den Händlern auf - da lese ich "50% Off" neben vielen "Alles muss raus!" und an einem Stand lese ich noch ein scheinbar verzweifeltes "Handelt doch!".

Die Dancehallfans kamen zu diesem Zeitpunkt bei T.O.K. auf ihre Kosten und auch mein Fuss wippte mit. Gleichzeitig essen wir aber im Restaurantzelt und bekommen daher nicht so viel mit. Es gibt Putenbrust im Salat, Lasagne und Fisch.

Von der Performance der "Stones Throw" kann ich euch leider praktisch nichts erzählen, da ich mich, ehrlich gesagt, daran nicht erinnern kann. Das kommt wieder, sobald ich Ausschnitte davon auf YouTube sehe oder doch noch ein paar Bilder/Videos davon auf meiner Kamera finde.

Der Auftritt der "Dilated Peoples" paar verdammt gut und die Leute gingen auch gut mit. Auf der Bühne hing über ihren Köpfen eine Flagge mit ihrem Symbol - dem Augenmensch, wie man ihn auch an anderen Stellen findet.
Mittlerweile ist der Himmel ein Traum von Rot-Blau und bildet einen tollen Rahmen für das Gelände. Eine gute Bühne ist dieser Himmel auch für jemand Anderes: Paris Hilton. Nein, keine Sorge, sie hat ihre Haftstrafe nicht beendet um für uns beim Splash! zu "singen" - es handelt sich um eine Doppelgängerin. Die junge Dame hat nicht nur eine rosa Mütze auf, sie trägt unter ihrem schwarzen Pulli auch noch ein rosa Shirt, dazu passende, sportliche Schuhe und die obligatorische Handtasche. Doch das waren nicht die deutlichsten Übereinstimmungen, die junge Dame sieht Paris auch noch ähnlich! Das selbe schmale Kinn, die selben langen, blonden Haare und auch die Augenpartie entspricht dem Vorbild. Die Ähnlichkeit springt jedem hier ins Auge und die Arme muss sich heimlich begaffen und fotografieren lassen. Als sie versucht, mit Hilfe ihres Freundes, auf einen der "viva con agua"-Behälter zu klettern wird deutlich, dass sie auch noch so ungeschickt ist, wie Paris sich allgemein darstellt - sie schafft es dann im dritten Anlauf auf das knapp 60cm hohe Podest zu klettern. Ob sie auch nachts ähnliche Qualitäten aufweist, wie sie Paris in ihrem Film gezeigt hat, traue ich mich nicht zu fragen - ich war ja auch nüchtern.

Beim Auftritt der Roots scheiden sich sicherlich die Geister. Deutlich war, dass ein Großteil der Besucher nicht viel mit diesen Urgesteinen, dieser Legende, anfangen konnten. Natürlich gab es ein paar, die passende T-Shirts trugen und es gab auch eine ganze Anzahl an Leuten, die sich auf den Auftritt freuen - leider sind die aber in der Unterzahl und die große Masse steht einfach nur da und lässt sich hängen.
Die Beats gehen durchaus in die Beine und einen hüpfenden Tuba-Bläser auf einer HipHop-Bühne zu sehen sorgt allein schon für Aufmerksamkeit, aber die Lieder sind auch mir unbekannt, obwohl mir klar ist, dass diese Menschen da vorn viele, viele bekannte Songs geschrieben haben, fällt es mir schwer, mich darauf zu konzentrieren. Ich schaue mich ja doch viel lieber unter meinen Mitmenschen um und gehe auf kleinere Streifzüge in die Menge und wieder zurück.
Wie gut diese Band HipHop kennt und welch gute Musik sie machen können, beweisen "The legendary Roots" dann durch ein überraschendes, beeindruckendes, mitreißendes und exzellentes Medley verschiedenster Songs. Da hörte man ein paar Worte aus Songs von Redman, Snoop, Busta, Jay-Z und vielen Anderen. Jede Partitur mit Wiedererkennungswert und Aha-Effekt. Dazu passende Vocals, die man wiederum mitsingen kann.
Diese Einlage sorgt dann doch für Aufmerksamkeit in der Menge und es gehen mehr Leute ab als zuvor. Der Befreiungsschlag ist auch bei mir gelungen und ich höre genauer hin.

Es ist jetzt mitten in der Nacht und der große, abschließende Moment rückt näher. Als die Roots von der Bühne verschwinden, ist unsere Gruppe schon auf dem Weg in die Menge. Wir gehen rechts vorbei nach vorn um uns dort in die lichten Reihen der Zuhörer zu begeben und durch große Lücken zwischen ihnen zu bewegen. Meine Aufmerksamkeit richtet sich jetzt nicht mehr auf die Menschen, sondern die Lücken und lichten Reihen zwischen ihnen. Wir kommen sehr einfach bis auf zwanzig Meter zur Bühne. Hier wird es langsam nötig die Leute aus dem weg zu bitten und ich blicke kurz nach hinten - ja, Ritschie und die Anderen sind noch in der Nähe. Ich bin jetzt schon etwas nervös, weil ich nach vorn will - ich werde Freundeskreis vermutlich nie wieder live erleben dürfen und hatte bis hier hin nicht realisiert, wie gern ich dies tun würde.
Wir kommen jetzt langsamer voran, da uns aber immer wieder jemand entgegen kommt, schaffen wir es durch die entstandenen Lücken. Wir landen keine fünf Meter von der Absperrung entfernt und bleiben stehen um uns zu sammeln. Da bietet sich eine weitere Lücke, die uns direkt an die Absperrung führt - sechs von uns schaffen es tatsächlich fast ohne Drängeln direkt an die Metallgitter. Ich stehe auf dem Absatz, welcher die hüfthohen Metallstäbe samt Querbalken stabilisiert.
Ich schaue mich um - vor mir nur zwei Meter Rasen und dann die rechte Begrenzung der Bühne, schräg vorn ist das Zentrum der Bühne keine zehn Meter von mir entfernt und hinter mir sehe ich ein kleines Meer von Köpfen. Hier stehen 15.000 Menschen und ich in der ersten Reihe - Hammer.
Es dauert noch eine Weile, bis Max endlich auf die Bühne kommt und wir in ein kurzes Jubeln verfallen - es scheint allen klar zu sein, welches Glück wir haben hier und jetzt dabei zu sein - ein Konzert von Freundeskreis, jener legendären deutschen HipHop-Crew, die sich schon aufgelöst hat und jetzt für einen Sommer wieder zusammenkommt und die Klassiker spielt.
Max Herre sieht aus, als ob es ihm Spaß macht und er Freude daran hat uns zu sehen. Sein blaues Basecap trägt das Kürzel "FK" inneinander versetzt in weißen Lettern. Neben ihm steht jetzt Afrob als Feature und Freund und hinter ihnen Joy Denalany, Max' Frau und Partnerin in einigen Songs.


Der Höhepunkt dieses Wochenendes war dann das Lied "A-N-N-A". Ich weiß nicht, wie ich das Gefühl beschreiben soll, wenn man zwischen 15.000 Menschen steht, die ein Lied von vorn bis hinten so gut kennen, dass sie es mit einer Stimme singen können und von der Bühne nur noch den Beat brauchen um synchron zu bleiben. Max hält uns denn auch das Mikro entgegen und es ist schon gespenstisch, daran zurückzudenken. Ich blicke mich mit meiner Kamera in der Hand um und sehe nicht mehr das Meer an Köpfen, es sich wippende Hände geworden.
Später singen Joy und Max noch "Mit dir" und man sieht ihnen irgendwie an, dass sie es füreinander singen. Sie bewegen sich als ob sie das Gesungene nachfühlen und ich sehe um mich herum viele Pärchen engumschlungen.
Es werden auch noch zwei Songs vom aktuellen Album gespielt, darunter "FK 10", jenes Lied, dass so fantastisch auf mich passt, dass es für mich etwas ganz Besonderes ist und sein wird.



Als Max sich dann gemeinsam mit den anderen vier verabschiedet, ist die Menge nicht einverstanden. Wir schreien ein ums andere Mal "Zugabe, Zugabe!", bis aus den Lautsprechern etwas wie "OK" schallt. Sofort tritt Stille ein und etwas Jubel. Wir warten eine Minute. Als nichts passiert beginnt die Menge spontan wieder mit "Zugabe, Zugabe". Das Ganze dauert jetzt schon gut fünf Minuten, bis Max wieder raus kommt, seine Zigarette wegwirft und noch einen Song vom neuen Album macht.

This article was updated on 13 Juli 2007